Johannas Fest
Termine: 15./16./18./19. September 2006  "Die Schlampe ist schwanger", tuschelt es hinter dir. Wenn du dich herumdrehst, kichern sie, schauen zur Seite. Oder es ruft dir höhnisch hinterher: "Aldi-fashion ist geil, Alter!" Sie erzählen über dich alles Mögliche: dass du dich einschleimst, dass du Gerüchte über sie verbreitest, dass du diese oder jene eklige Krankheit hast. Du bist meistens Luft für sie. Wenn du etwas sagst, lachen sie, schütteln den Kopf. Und wenn einmal einer mit dir redet, beschimpfen sie ihn, bis er es lässt. Nachts klingelt dein Telefon immer wieder – meistens ist niemand am anderen Ende der Leitung, oder es stöhnt, oder du wirst in wüster Weise beschimpft. Du kriegst Pakete mit Sachen, die du nie bestellt hast. Im Unterricht sagst du nichts mehr, weil sowieso alle lachen würden. Beim Sport will dich nie jemand in seiner Mannschaft haben. An besonders schlechten Tagen verlangen sie Geld von dir, und sie verprügeln dich, wenn du keines hast. Wenn es noch schlimmer kommt, stecken sie dir den Kopf in die Kloschüssel, und du musst ein paar Schlucke trinken. Inzwischen finden dich die Lehrer auch schon komisch. Manchmal lachen sie mit, wenn die anderen lachen. Oder sie benutzen auch schon 'mal den Spitznamen, den dir die anderen gegeben haben. Du hast versucht, mit denen zu reden, aber sie lachen dich aus, hören nicht zu, oder mit Lehrern, anderen Erwachsenen. Doch die meisten finden, dass das doch Kindereien sind. Haben sie auch erlebt in diesem Alter. Da muss man durch. Du verstehst nicht, was du falsch machst. Liegt es vielleicht wirklich an dir? Du bist eben ein "Loser". Da kann man nichts machen. Du schweigst. Du gehst nicht mehr weg, denn die anderen trifft man überall. Deine Angst wächst immer mehr. Nichts kannst du tun. Du isst nichts mehr. Du kannst nicht mehr schlafen. Deine Noten werden immer schlechter. Dann gehst du zu den Ärzten. Niemand kann dir helfen. In die Schule gehst du nicht mehr, du erträgst das Getuschel, das Gelächter nicht mehr. Es ist überall. Du siehst keinen Ausweg ...
Liebe Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Freunde des "Kleinen Hauses",
K.U.S.S. greift in seiner neuen Produktion ein sehr ernstes Thema auf, über das offiziell an Schulen häufig nicht gern geredet wird, weil es dem Ruf schadet: das "Mobbing" unter Schülerinnen und Schülern. Das systematische psychische und physische Quälen eines Einzelnen durch eine Gruppe über einen oft sehr langen Zeitraum hinweg ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, wird in allen gesellschaftlichen Schichten praktiziert und macht natürlich vor den Toren der Schulen nicht Halt, wobei die Schulform beliebig ist. Oben haben wir versucht, in Kurzform die typische "Mobbing-Karriere" eines Opfers zu fassen, wie sie sich aus zahlreichen Untersuchungen und Berichten Betroffener ergibt. Wer im Internet die entsprechenden Foren und Chatrooms aufsucht, findet eine Fülle erschütternder Hilferufe, und es spricht für sich, dass "Google" beim Stichwort "Schülermobbing" über 880000 Seiten anbietet. Folgt man seriösen Untersuchungen, so wird jeder zehnte Schüler einmal in seinem Schülerleben Mobbingopfer, mehr als jeder zehnte mobbt zumindestens einmal aktiv andere. Dabei gibt es nicht das "typische Opfer"; allerdings werden Jugendliche mit bestimmten Auffälligkeiten ("zu dick", "zu dünn", "Sprachfehler", "Ausländer", "still", "zu wenig modisch" usw.) "bevorzugt". Auch der "typische Mobber" existiert nicht, "jeder kann mitmachen". Und die jeweiligen Motive sind ganz unterschiedlich: Schülerinnen oder Schüler, die einen hohen sozialen Rang in der Gruppe haben, festigen ihre Macht; andere bemühen sich darum, dazuzugehören – oft in der Angst, selber Ziel von Angriffen zu werden.
Das Stück "Johannas Fest" zeigt ein Mobbing-Schicksal. Am Beispiel der Johanna Köhler beobachtet es in kurzen Schnitten den Weg einer Schülerin, die ohne eigene Schuld und ohne besonderen Anlass Objekt des Hasses ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler wird. Allerdings sind wir weit davon entfernt, undifferenziert schwarz und weiß zu malen, den moralischen Zeigefinger zu heben, einfache Lösungen anzubieten. Eingekleidet in eine sehr spannende Handlung mit völlig unerwarteten Wendungen verfolgen wir den Weg einer unheimlichen Eskalation bis zum völlig unerwarteten Ende, betrachten Motive und Hintergründe bei allen Beteiligten, auch der Lehrerschaft, beobachten Mechanismen und Automatismen, die in solchen Fällen wirken, und wir sind uns sicher, dass vielen das Gezeigte nicht ganz unbekannt ist. Es wird, davon sind wir überzeugt, gewiss Diskussionen und Reaktionen unterschiedlichster Art geben, auf die wir gespannt sind. Stärker als bisher arbeiten wir bei dieser Inszenierung mit dem Medium "Film", weil es uns die Möglichkeit eröffnet, Authentizität herzustellen. Wir begreifen "Johannas Fest" nach dem "Robert-Kreuzer-Projekt" von 2003 als weiteres Stück von K.U.S.S., das sich mit dem "schulischen Leben" beschäftigt, und haben es stilistisch der Inszenierung von vor drei Jahren angepasst. Während es sich bei "Robert-Kreuzer" allerdings eher um eine Darstellung von schulischer Gewalt in Verbindung mit der erschreckenden Medienmacht in einer extremen Situation handelte, bewegt sich, so hat unsere intensive Beschäftigung mit dem Thema leider ergeben, "Johannas Fest" auf einer eher "alltäglichen" Ebene.
Wir laden euch und Sie alle ein, den Weg Johannas an einem unserer Vorstellungsabende mitzuverfolgen, und wir können dafür garantieren, dass es kein uninteressanter Abend wird.
Für K.U.S.S.: Joachim Berndt
Dieses Stück kann über die theaterbörse bezogen werden.
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